Vorstadtverein
Nürnberg-Laufamholz e.V.
Es gab einmal ein Kinderspiel, bei dem es galt, wenigstens einen der Mitspie-ler durch Abklatschen – also durch Berührung mit der Hand – gefangenzunehmen. Freilich hatte auch der mit den Beinen nicht ganz so Flinke eine Chance, sich zu retten: Wenn es ihm nämlich gelang, kurz vor der Touchierung durch den Fänger drei Mal an eine Wand zu klopfen, so war er vor der Nachstellung geschützt und (wenigstens bis zur nächsten Runde) vor weiterer Verfolgung frei. Hierin dürfen wir ein in die kindliche Sphäre transferiertes Gedenken an den Schutz einer Mauer, einer Stadtmauer, vor der Verfolgung durch einen Herren, einen Leibherren, sehen. Die Stadt als Ort von Freiheit: Stadtluft macht frei und kein Huhn – das Symbol der Leibeigenschaft – flattert über die Mauer. In der Stadt gab es (vereinfacht gesprochen) keine Leib- und keine Grundherrschaft, hier herrschte die bürgerliche Genossenschaft selbst. Grad und Intensität dieser Herrschaft wurden dabei allein von der Macht des Stadtherrn begrenzt, bei dem es sich um den Landesherrn oder, wie im Falle von Nürnberg, auch um den König selbst handeln konnte. Letzteres stellte die Kommune als Reichsstadt in die erste Reihe ihrer Schwestern, legte ihr und ihren Bürgern aber auch manche Last auf und ließ – wie Nürnberg am Ende des Alten Reiches spüren musste – den Stand (oder wir wir heute sagen würden: das Sozialprestige) bitter werden.
Freilich bot das heute für seine fränkischen Erwerbungen so viel gescholtene Bayern seinen neuen Untertanen auch manche Chance, wie nicht zuletzt die in der Landesausstellung 1906 in Nürnberg so stolz gezeigte Entwicklung zu einem der führenden Industriestandorte des Königreichs zeigte. Im neuen Bayern bildete das mit den Ansässigmachungs- und Verehelichungsgesetzen von 1825, 1834 und 1866 gefasste „Heimatrecht“ einen wichtigen Teil staatlicher Armenfürsorge. Dass diese restriktiv war und Niederlassung wie Heiratserlaubnis an strenge Erwartungen an den „Nahrungserwerb“ band, ist aus den engen Ressourcen der damaligen Gesellschaft erklärbar. Denn die Heimatgemeinde hatte für in Not gekommene einzustehen und diese wollte, sie durfte sich auch nicht überlasten.
Ein Mittel zur Steuerung war dabei auch der Erwerb des Bürgerrechts, der für finanzielle Möglichkeiten wie für Engagement für das Gemeinwesen stand. Der Erwerb von Menschenrechten, und das bald mit dem Bürgerrecht synoym gesetzte Recht auf Heimat ist zweifellos ein solches, nur auf Grund finanzielle Möglichkeiten war und ist in demokratischer Sicht mit Fug und Recht unan-nehmbar. So gestand auch die erste deutsche Demokratie moderner Prägung, die Weimarer Republik, 1919 allen deutschen Gemeindeeinwohnern grundsätzlich das Bürgerrecht einer Gemeinde zu. Aber es sollten noch fast zwanzig Jahre vergehen, bis auch die Laufamholzer Bürger im eigentlichen Sinne, d.h. Einwohner einer Stadt, geworden sind.
Margit Hagen hat die Entwicklung der Gemeinde Laufamholz in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen untersucht, als nicht nur der Abriss des Hirtenhauses 1926 für das Ende des Dorfes stand, sondern auch die Ansied-lung respektabler Industriebetriebe wie der 1923 gegründeten Metallwarenfab-rik Max Kreß. Der Bau von Mehrfamilienhäusern, aber auch von noch heute beeindruckenden Villen trug diesen sich verändernden Bedingungen Rech-nung. Schon in den 1920er Jahren war Laufamholz auch in das Visier der Nürnberger geraten, die weitere Ausdehnungsmöglichkeiten suchten, wobei finanzkräftige Gemeinden als Ortsteile, wie die Eingemeindungswelle von 1899 (mit Mögeldorf) gezeigt hatte, nicht unwillkommen waren. Möglicherweise spielte bei der Entscheidung, Laufamholz mit Wirkung vom 1. April 1938 in die „Stadt der Reichsparteitage“ einzugliedern auch die Tatsache eine Rolle, dass mit den sich ab 1935 konkretisierenden Planungen für das Reichsparteitagsgelände eine Ausdehung nach Süden hin zumindest erschwert wurde. Und vielleicht wollte man auch im Osten näher an das entstehende Autobahnnetz heranrücken, war die Stadt doch seit 1934 Sitz der Obersten Bauleitung Nürnberg des Unternehmens Reichsautobahn.
Mancher mag nun drüber nachsinnen, ob die Eingemeindung mit Wirkung zum 1. April 1938 für Ort und Bürger sinnvoll war, sich besser bei einer der Gemeinden des Speckgürtels um Nürnberg aufgehoben fühlen. Ein mühsiges oder, wie man zuweilen spöttisch sagt, ein akademisches Unterfangen: die Verhältnisse sind, wie sie sind. Aber kaum einer, der diesen Vorschlag bedenkt, wird im Gedächtnis haben, dass er sich damit den mittelalterlichen Verhältnissen anschließt, in denen wir Laufamholz säuberlich vom Machtzentrum Nürnberg scheiden müssen.
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750 Jahre Laufamholz